Publicis und die NZZ haben mit dem blauen Bleistift Geschichte geschrieben. Während 15 Jahren prägte er die Werbelandschaft in der Schweiz wie kaum ein anderes Sujet. Wie schaffte er das bloss? Ein hundskommuner Bleistift, Büro-Ordner-Blau, das Logo winzig klein. Es gibt Erfolge, die lassen sich nicht abschliessend erklären – sie passieren einfach. Oder um es mit Disney zu sagen: «Magic happens». Auch in der Werbung.
Wieviel Kraft der blaue Bleistift hatte, zeigt dieses eindrückliches Beispiel: Mehr als ein halbes Jahrzehnt nach seinem letzten Auftritt erscheint ein Inserat mit dem Totgeglaubten – in leicht abgeänderter Form – in der NZZ. Aber nicht in ihrem Auftrag.
Die Meili-Erben schalteten es – notabene in der NZZ – im Abstimmungskampf um die Erbschaftssteuer. Die NZZ schrieb damals für ein Nein an der Urne, was ihr die Meili-Erben als nicht liberal auslegten. Das Inserat sollte die NZZ an ihre eigenen Grundwerte erinnern, den Liberalismus.
Das ist bemerkenswert. Publicis hat mit dem blauen Bleistift etwas eingenommen, was man als heiligen Gral der Werbung bezeichnen könnte: Einen festen Platz in den Köpfen seines Publikums. Wer gute Werbung mochte (oder guten Journalismus), dem ging es beim Anblick des blauen Bleistifts nicht anders als Pawlows Hunden beim Klingeln der Glocke. Ich kann mich gut erinnern – damals noch keine zwanzig – wie mir der blaue Bleistift das wohlige Gefühl gab, wieder daheim zu sein. Er wartete an der grossformatigen Plakatwand im Zürcher HB über dem alten Kiosk auf  die Ankommenden und erfreute sie mit seiner Eloquenz. Ein Zürcher Emblem.

Die Bleistift-Kampagne ist konkurrenzlos. Der Tagi hatte mit «Wir bleiben dran.» zwar auch grossen Erfolg, aber ist es vorstellbar, dass heute jemand – wie die Meili-Erben in der NZZ – im Tagi ein Inserat schalten würde, dass ihn an sein journalistisches Versprechen erinnert? «Hallo lieber Tagi, wann habt ihr aufgehört, dran zu bleiben?». Eher nicht. Aber nicht nur für ihre Mitbewerber, auch die NZZ selber hat es bis heute nicht geschafft, etwas vergleichbares auf die Beine zu stellen. Anfang 2014 wurde intern erstmals wieder laut darüber nachgedacht, den Bleistift zu reaktivieren. Im zweiten Halbjahr 2015 fasste ich den Auftrag, mir darüber Gedanken zu machen. Ich kam nach einigen Versuchen zum Schluss, dass mindestens ein weiterer Weg gangbar wäre.
Ich setzte mich zu der Zeit – aus privatem Interesse – bereits mit «Dynamic Identities» auseinander, las Bücher und betrieb ausführlich Recherche. Der blaue Bleistift war im Grunde eine solche «Dynamic Identity»: Als Marken-Element war er dem «Neue Zürcher Zeitung»-Logo fraglos ebenbürtig geworden. Er hatte aber gegenüber dem nackten Schriftzug einen entscheidenden Vorteil: Seine Lebendigkeit. Das Dynamic an der Identity. Mit ihm war es möglich, mit minimalsten Mitteln komplexe Botschaften zu vermitteln. Eine wahre Wunderwaffe der visuellen Rhetorik.
Ich war also auf der Suche nach dem Stein der Weisen. Der Zufall wollte es, dass ein kleines Sujet von mir für die internationale Ausgabe der NZZ auf positives Echo stiess:
Sogar VR Dominique von Matt lobte das Sujet, wie man mir ausrichten liess. Es war marketingseitig auch recht erfolgreich und generierte überdurchschnittlich viele Abos.
Nicht dass ich mir es hätte zu Kopf steigen lassen. Es war nichts besonderes. Aber anscheinend mochten die Leute die Idee mit dem roten Faden. Mich umtrieb plötzlich etwas anderes daran: Ich verdächtigte den roten Faden, das leisten zu können, was zuvor der blaue Bleistift getan hatte.
Die Redewendung kommt ursprünglich von niemand Geringerem als von Goethe. In seinem Roman «Die Wahlverwandschaften» gibt es zwei Passagen dazu: 
Wir hören von einer besondern Einrichtung bei der englischen Marine. Sämtliche Tauwerke der königlichen Flotte, vom stärksten bis zum schwächsten, sind dergestalt gesponnen, dass ein roter Faden durch das Ganze durchgeht, den man nicht herauswinden kann, ohne alles aufzulösen, und woran auch die kleinsten Stücke kenntlich sind, dass sie der Krone gehören. (Teil 2, Kapitel 2) 
Ebenso zieht sich durch Ottiliens Tagebuch ein Faden der Neigung und Anhänglichkeit, der alles verbindet und das Ganze bezeichnet. (Teil 2, Kapitel 4)
Das war es. Ich dachte mir: Ein besseres Sinnbild für die Arbeit eines NZZ-Redakteurs gibt es nicht. Vor meinem geistigen Auge sah ich die NZZ-Redakteure in ihren Stuben an der Falkenstrasse, wie sie in minutiöser Arbeit das Zeitgeschehen zerlegten, als wären es dicke verworrene Taue, und dabei einen roten Faden freilegten, der alles verband und das Ganze bezeichnete...
Meine Vorgesetzten liessen sich überzeugen, es damit versuchsweise zu probieren. Denn: die Möglichkeiten waren aus Marketing-Sicht schier unerschöpflich.
Am meisten gefiel mir, dass man mit ihm dreidimensional zeichnen konnte. Hier einige Beispiele aus den Moodboards:
Ich machte mich also daran, mir vorzustellen, wie eine Kampagne aussehen könnte und lernte, mit dem roten Faden zu zeichnen.
Danach entwarf ich erste Anzeigensujets: 
Zum Frankenschock,
zur humanitären Katastrophe unserer Zeit,
zur «Willkommenskultur»,
und zur Durchsetzungsinitative.
Das Konzept kam an. Nach einigen Workshops und Präsentationen wollte man es auf Herz und Nieren prüfen, in dem man den roten Faden versuchsweise bereits in ein Manual verpackt zu sehen wünschte. Das Ganze war eingebettet in einen laufenden Rebranding-Prozess, in der wir neben der Dachmarke auch alle Produktmarken neu zu positionieren suchten.
Soweit der aktuelle Stand des Projektes (Sommer 2016). Ob es je das Versuchsstadium verlassen wird, kann ich nicht mehr beeinflussen.