Dieses Jahr wurde im älteren der beiden neuen Märkli-Mehrfamilienhäuser an der Gutstrasse 113-127 ein Fensteradventskalender organisiert, bei dem ich auch ein Fenster beisteuern durfte. Ich wollte meinem eine subversive Kraft verleihen. Die Leute ein kleines Bisschen stören bei diesem Weihnachtsfest, das selber – gerade noch gut genug fürs Geschäft der Geschäfte – zum Geschäft geworden ist, das man verrichtet.
Auf keinen Fall wollte ich mir aber irgendjemandes Vorfreude vermiesen. Es durfte nicht zu viel saure Moral hinein. Nur gerade so viel, wie nötig. Ich schrieb mich ein für Fenster Nummer 1. Dabei kam mir die Erinnerung an die «Herberge zur Heimat» in Zürich und ich wusste, wie mein Fenster aussehen wird. Ich weiss nicht wieso, aber so funktionieren Ideen nun mal. Wie Koralleninseln im Ozean. Der erhobene Zeigefinger symbolisiert auf jedenfall schon einmal die Nummer 1.



Die «Herberge zur Heimat» an der Geigergasse 5 ist ein Wohn- und Durchgangsheim für bis zu 50 obdachlose und alleinstehende Männer aus Stadt und Kanton Zürich. Und zwar schon seit 1866. Was der «Herberge» nach eigenen Angaben seit jeher zu schaffen machte, war der übermässige Alkoholkonsum seiner Bewohner und natürlich auch der nicht einfache Lebenswandel derselben. In diesem Kontext ist die Symbolik des Mahnfingers zu lesen, der oberhalb der Eingangstüre angebracht wurde.
Der erhobene Zeigefinger ist ein mächtiges Symbol. Er ist moralisierend und gleichzeitig frei von jeglicher Moral – denn er gehört zu niemandem. Es gibt keine menschliche Figur dazu, die eine Geschichte (und damit eine Moral) haben könnte. Natürlich ist es die Hand des Hauses, aber Häuser haben nunmal keine Hände, weshalb ich den Mahnfinger als Passant auch ohne Kontext für sich betrachten kann. Mehr noch, ich kann die Hand mit dem erhobenen Zeigfinger mitnehmen (im Geiste) und ihn in mein Adventsfenster stellen. Hier macht er dann im besten Fall das gleiche, was er an der Geigergasse macht: er wird zum Mahnfinger der persönlichen Verfehlungen eines Jeden, der ihn im Vorbeigehen betrachtet. An der Geigergasse sind die Betrachter Menschen vom «Rand» der Gesellschaft, und die fühlten sich v. a. an ihr Alkoholproblem ermahnt. Das gute am unpersönlichen Mahnfinger ist, dass er nicht darüber urteilt, was gut und was schlecht ist in der Welt. Das macht alleine der, der ihn betrachtet.
Wem gegebenüber sind wir denn die grössten Moralisten? Gegenüber uns selbst natürlich (ausser wir haben eine narzisstische Persönlichkeitsstörung). Was ermahnen wir uns nicht dauernd, im Stillen, an Dinge, die wir eigentlich an uns selber ändern möchten? Der Konsumismus, dem wir alle ein Stück weit verfallen sind, ist Psychopharmaka gegen den Selbstzweifel und die Bahnhofstrasse zur Weihnachtszeit der Platzspitz der Dopaminsüchtigen.
Meine Adventsfenster hat mit diesem Symbol genau die Portion subversive Kraft bekommen, die ich ihm verleihen wollte. Die Herstellung indes war weit aufwändiger, als ich sie mir vorgestellt hatte.








